Es ist der 5. Juli 1988 irgendwo in einem Stuttgarter Vorort. Der Wecker neben Andreas Couch zeigt 15:16. „Wolltest Du nicht noch zur Uni, Du Mittagsschläfer?“ fragt Tanja kess und wirft Andreas ein Kissen auf den Bauch. Der streckt sich und sinniert. „Hm, ja, eigentlich schon. Aber so recht ist mir danach gar nicht. An seinem Geburtstag kann man doch auch mal blau machen.“ Andreas ist im fünften Semester Maschinenbau. Seit einigen Wochen ist es mit seiner Motivation nicht gerade gut bestellt. Er weiß auch genau, woran das liegt. Er braucht unbedingt ein Abschlussthema für die Diplomarbeit. Aber ihm fällt keines ein. Und schon gar nicht weiß er, was danach folgen soll. In irgendeinem Büro versauern und Pläne zeichnen? Motoren bauen? Und wozu hat er überhaupt dieses Studium begonnen?
Noch viele Minuten räkelt er sich auf dem Sofa. Die Sonne scheint draußen, es ist warm. Eigentlich winkt eine Fahrt mit dem Moped ins Grüne. Er und Tanja könnten sich einen schönen Nachmittag machen. Aber Andreas weiß auch, dass das schlechte Gewissen so nicht weggehen würde. Zudem fällt ihm ein, dass es nicht irgendeine Vorlesung ist, die er verpassen würde. Die Kunststoffkunde von Professor Reiter ist eigentlich immer ganz spannend. Reiter ist anders als die anderen. Wie genau, das kann sich Andreas auch nicht recht erklären. Er ist ein großer Mann, ausdrucksstark, entschlossen, voller ausgezeichneter Leistungen und Anerkennungen. Er ist wohl das, was viele charismatisch nennen. Aber gleichzeitig ist er auch nahbar irgendwie, und sogar lustig. Gerade letztens hat er ein Surfbrett in den Vorlesungsraum schleppen lassen, um den Studenten zu zeigen, woraus genau das Board besteht. Wenn er mal Professor werden würde, dann so einer wie Reiter, denkt sich Andreas und starrt auf den Schmetterling, der vor der geöffneten Balkontür tanzt. Aber Professor will Andreas auf keinen Fall werden. Die Frage ist nur, was dann? Ewig kann er nicht Student bleiben und die Abschlussarbeit muss nun mal fertig werden.
Mit einem Satz springt er auf, zieht sich die ausgelatschten Turnschuhe mit dem Adidas-Streifen an und schnappt sich den Helm. Es sind nur wenige Minuten den steilen Berg hinauf bis zur Uni. Wie oft ist er diesen Weg im Laufe des Studiums gefahren. Er hat Ingenieurswissenschaften studiert, weil es ihn immer fasziniert hat, was man mit Materialien alles anstellen kann. Und die Umwelt hat ihn ebenfalls schon immer fasziniert. Es ist eine Zeit, in der viele auf die Straße gehen. Aber so recht interessiert das keinen. 1977 veröffentlichten die Schweizer als Erste eine Studie zu „Ökobilanzen von Packstoffen.“ Unternehmen sollen darauf achten, die Umwelt nicht zu verschmutzen. So recht zu interessieren scheint das aber noch keinen in Deutschland. Es geht meist ums Geld, sonst um nichts. Da macht sich Andreas keine Illusionen. Nur Reiter scheint das irgendwie anders zu sehen. Aber vielleicht sollte er einfach nicht so viel auf Reiter geben. Vielleicht ist er tatsächlich einfach nur ein wissenschaftlicher Spinner, der seine Ideen gut vermarktet. Wer weiß. Spannend ist es trotzdem immer, wenn man die Vorlesung betritt. Man weiß nie genau, was er sich jetzt hat wieder einfallen lassen.
Nachhaltigkeit einfach erklärt
Andreas muss sich seinen Weg durch die engen Hörsaalreihen bahnen und über die hölzernen Klappstuhlreihen steigen. Auf den Stufen sitzen auch bereits Studierende. Er hat es gerade noch rechtzeitig zum Beginn geschafft. Er weiß, dass Reiter nicht nachtragend ist. Er mag es aber auch nicht, wenn Studierende zum Ende des Studiums noch immer die Uhr nicht lesen können und dauernd zu spät kommen. „Beim Mittagsschlaf verschlafen“ ist da mit Anfang 20 bestimmt keine gute Ausrede. Neugierig schaut Andreas herunter in Richtung Rednerpult und Tafel, als er sich endlich einen der noch freien Sitzplätze ergattert hat. Ein Skateboard ist heute nicht zu sehen. Dafür sitzt ein Mann mit glatt gebügeltem Anzug neben Reiter. Andreas denkt nach. „Natürlich, das hatte er ja angekündigt letztes Mal“, entfährt es ihm. Der Student neben ihm, der scheinbar keinen Mittagsschlaf hatte, schaut ihn grummelig von der Seite an. „Das ist Herr Doktor Meyer von der Entwicklungsabteilung bei Bosch,“ erklärt er Andreas in einem Professor Oberschlau Ton. „Wie Du Dich vielleicht erinnerst, hat Herr Professor Reiter ihn für dieses Mal angekündigt. Es wird um Ökobilanzierung bei einem Kotflügel gehen.“ „Danke“, kann sich Andreas abringen und schaut wieder herunter, wo Reiter gerade ans Pult tritt, um seinen Gast einzuführen.
Eine knappe Dreiviertelstunde später ist die Diskussion in vollem Gange. Heute scheint es so, als wäre Reiter derjenige, dem die meisten Fragen unter den Nägeln brennen. Eigentlich lässt er sonst bewusst den Studierenden immer den größten Raum. Das hat Andreas schon immer gefallen, dass er dazu ermuntert, auch den Mund aufzumachen, wenn solch wichtige Leute aus der Wirtschaft zu Gast sind. Aber heute hat er sich schon mehrere Male wieder eingeschaltet, nachdem Herr Dr. Meyer anscheinend die Fragen nicht so zufriedenstellend beantwortet hat, wie es Reiter sich vorgestellt hat. Andreas weiß, dass Reiter sehr um das Thema Umwelt bemüht ist. Zwar ist der Professor der Polymerforschung, aber seine Interessen sind sehr breit. Genau deshalb ist die Vorlesung ja so spannend. Kaum einer der anderen Profs. kümmert sich so ganzheitlich um die Themen im Ingenieurswesen. „Also ich muss ganz ehrlich sagen, Herr Meyer. Sie wissen, ich bin immer dankbar, wenn Leute wie Sie meinen Studenten hier einen Einblick in die Praxis geben und in die neusten Entwicklungen. Ich selbst habe ja vor nicht allzu langer Zeit einige Jahre wieder in der Industrie verbracht, um genau diesen Kontakt zu den wahren Herausforderungen im Geschäft nicht abreißen zu lassen. Ich muss aber auch sagen, und Sie kennen mich als kritischen Geist, dass mich die Methode, die Sie hier vorgestellt haben, um den Kotflügel zu bilanzieren, einfach nicht überzeugt. Da fehlt was, ist mein Fazit.“
Andreas schaut sich bei den Kommilitonen um. Ein Schmunzeln und leichtes Raunen geht durch den gesamten Hörsaal. Dieser Dr. Meyer zuppelt etwas nervös und leicht genervt am Jackette. So hatte er sich den Besuch in der Vorlesung wahrscheinlich nicht vorgestellt. Anstatt auf kritische Studenten zu treffen hat er sich mit einem streitbaren Professor angelegt. „Kollege Reiter, ich schätze Ihre Kritik, das wissen Sie. Sicher ist unsere Methode nicht die Krone der Schöpfung wenn es um Ökobilanzierung geht. Wir müssen bedenken, dass das Thema noch in den Kinderschuhen steckt. Ja, vielmehr noch, wir müssen bedenken, dass es noch immer kaum jemanden interessiert. Unsere Konkurrenz schert sich einen Teufel um die Wolken, die da tagtäglich in die Luft geblasen werden. Wir denken nicht nur daran, wir machen auch. Und wenn Sie sagen, die Methode ist noch nicht ausgereift, dann gebe ich Ihnen recht. Habe ich auch nicht behauptet. Wenn dem aber so ist und Sie offensichtlich hier bessere Expertise zur Verfügung haben, dann würde ich genau davon gern erfahren. Gerade Sie, der Sie selbst in der Industrie tätig waren, müssten aber wissen, dass man die schönen Dinge, die man sich als Professor so im Labor einfallen lässt, nicht automatisch auf die Welt da draußen übertragen kann. Unsere Kunden interessiert keine Theorie, sie interessieren praktische Lösungen. Und Umwelt schön und gut, aber es muss sich rechnen.“
Langsam artet das Schauspiel zwischen Reiter und Meyer in einem Schlagabtausch aus. Andreas bereut bereits, dass er Meyer so unaufmerksam zugehört hat. Zwar interessiert ihn das Thema mehr als die meisten anderen Dinge, die er bislang im Studium gelernt hat, aber so richtig folgen konnte er Meyer nicht. Oder aber, er hat genau das gleiche Problem wie Reiter, der offensichtlich auch viele Probleme an der Methode sieht. Noch während er darüber nachdenkt, hört er fast aus dem Unterbewusstsein wieder die Stimme von Reiter: „Wissen Sie was, meine Damen und Herren, das Ganze ist spannend genug, um daraus eine Diplomarbeit zu machen. Das biete ich Ihnen hier und jetzt an. Sie haben mein Wort, dass einer von Ihnen sich dem Thema gern in der Tiefe widmen kann, um darüber seine Diplomarbeit zu schreiben.“ Andreas reißt mit einem Mal die Augen auf. Hat Reiter da gerade Diplomarbeit gesagt? Das ist es doch. Seit Wochen zermartert sich Andreas den Kopf über sein mögliches Thema, aber nichts scheint zu passen. Entweder ist es zu klein oder zu groß, zu wenig innovativ oder zu übers Ziel hinaus geschossen. Aber eines weiß er: Er muss fertig werden und zwar schnell. Da kommt dieses Angebot doch wie gerufen. Ungeduldig rutscht er nun auf dem kippeligen Holzstuhl herum. Wie bei vielen Möbeln hier im Hörsaalgebäude kann man froh sein, dass noch nichts auseinandergebrochen ist. Unsicher schaut er sich bei den anderen im Raum um. Wie viele von ihnen wohl dieselbe Idee haben und auch diese Arbeit schreiben wollen? Es sind viele, sehr viele, bestimmt 200 Studierende im Auditorium. Andreas muss sich unbedingt schnell seinen Weg nach unten bahnen sobald alles rum ist, um mit Reiter über die Arbeit zu sprechen. Das ist seine Chance.
Dann wird er plötzlich vom lauten Klopfen der Handrücken auf den Tischen aus den Gedanken gerissen. Alle erheben sich und er stürmt wie selten zuvor rechts heraus aus der Reihe, an den packenden Kommilitonen vorbei hin zur Treppe. „Hey, Du Affe, hast es wohl eilig, um zu Deiner Freundin zu kommen, oder was?“ macht ihn einer von der Seite an. Andreas interessiert das nicht. Er hat nur weiterhin das Pult unten im Blick, wo Reiter und Meyer weiter lebhaft zu diskutieren scheinen, als habe die Veranstaltung noch nicht geendet. Vor ihnen hat sich eine kleine Traube Studierender angesammelt, die offensichtlich noch Fragen haben. Oder wollen sie vielleicht auch eben jene Diplomarbeit schreiben, die doch Andreas nun machen will? Andreas kennt keinen von ihnen. Es müssten eigentlich eher Studierende im Grundstudium sein, eigentlich keine Konkurrenz für eine Abschlussarbeit. Mittlerweile packt Reiter den Stapel Papiere, der noch vor ihm auf dem Pult liegt und stopft sie mehr oder weniger ordentlich in die lederne Aktentasche. Die Studierenden scheinen es eher auf den Mann von Bosch abgesehen zu haben mit ihren Fragen. „Ist ja mal wieder typisch,“ denkt sich Andreas. „In der Vorlesung traut sich keiner, aber danach stehen sie alle Schlange, wahrscheinlich, um sich ein Praktikum zu erschnorren, oder so.“ Reiter blickt nun herüber und will sich offensichtlich schon einmal von Meyer verabschieden, der wahrscheinlich noch länger hier Fragen beantworten wird. Doch bevor Andreas auch Reiter entwischt, nutzt er seine Chance. „Herr Professor Reiter, dürfte ich Sie einen kurzen Moment sprechen?“ „Was gibt es Künzel? Haben Sie schon mit Ihrer Diplomarbeit angefangen? Sie müssten doch bald fertig sein?“ fragt er Andreas, teils mit Ermutigung und Vertrauen in der Stimme, teils fordernd. „Genau darüber wollte ich mit Ihnen sprechen, Herr Professor Reiter. Was Sie gerade eben zu dem Diplomarbeitsthema gesagt haben, das finde ich sehr spannend. Ich will es gern machen. Es war schon lange mein Wunsch, ein Thema im Bereich Nachhaltigkeit zu bearbeiten. Aber irgendwie…“
So, jetzt ist es raus, denkt Andreas. Reiter schaut ihn plötzlich mit etwas anderem Blick an als noch vor einigen Momenten. Fast scheint es, als hätte er selbst schon vergessen, was er vor wenigen Momenten noch angekündigt hat. „Sie, Künzel, Sie wollen darüber schreiben? Na, haben Sie davon überhaupt schon Ahnung? Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie dazu schwerpunktmäßig Veranstaltungen bei mir besucht haben.“ „Nein, Herr Professor Reiter, habe ich nicht, aber ich habe durchaus schon am Rande immer mal wieder zu dem Thema gearbeitet. Und ich muss sagen, es fasziniert mich sehr. Um ehrlich zu sein, bin ich auch etwas verzweifelt, weil ich einfach bislang noch kein Thema gefunden habe, das mir liegt beziehungsweise für das ich mich begeistere. Deshalb denke ich, es passt irgendwie alles.“ Reiter nimmt seine Tasche und geht kurz und kommentarlos rüber zu Meyer, der noch immer in Gespräche mit den Studierenden verwickelt ist. „Herr Doktor Meyer, war mir eine Ehre, Sie sehen, was Sie an Interesse ausgelöst haben, das ist immer gut. Sie finden allein heraus, nehme ich an. Nochmals ganz herzlichen Dank.“ Meyer nickt und beide verabschieden sich mit einem kurzen aber kräftigen Händedruck. Dann wendet sich Reiter der Tür zu und schiebt Andreas quasi mit einer Geste ebenfalls gen Ausgang. „Künzel, machen wir es kurz. Was Sie sagen, klingt ehrlich und Ehrlichkeit ist schon mal eine gute Voraussetzung. Das Interesse nehme ich Ihnen auch ab. Der Rest wird sich rausstellen. Vorschlag: Sie kommen übermorgen um 14:00 Uhr in mein Büro, dann besprechen wir alles.“ Andreas kann noch kaum glauben, was da gerade passiert. Voller Strahlen schaut er Reiter an und sagt nur ein verdattertes „ja, gern.“ Dann ist Reiter auch schon am Ende des Flurs und hastet zu seinem nächsten Termin. Andreas schaut ihm noch nach. Plötzlich dreht sich Reiter nochmals um. „Ach, und Künzel, eines noch. Was Sie zum Thema Wünsche gesagt haben. Die erfüllt man sich selbst!“
Andreas erwidert mit einem freundlichen Nicken. Er kann es noch immer nicht recht glauben. Da sag doch mal einer, es lohnte sich nicht, in Vorlesungen zu gehen. Und ausgerechnet heute hätte er es um ein Haar nicht getan. Was Tanja wohl dazu sagen wird, wenn er ihr das erzählt. Sie ist ohnehin sehr skeptisch, wenn es um sein Studium geht. Sie hat ein Ausbildung als Arzthelferin gemacht und arbeitet lieber mit Menschen. „Was Ihr da immer mit Euren Messungen und Rechnungen macht, davon hat doch kein Mensch was“, hat sie schon oft gesagt. Manchmal war er so weit, dass er ihr eigentlich recht geben wollte. Aber dann hat er sich daran erinnert, wie sehr das Studium schon seine Weltsicht und sein Verständnis großer Zusammenhänge geprägt hat. Er hätte nie gedacht, wie stark unterschiedliche Stoffe sich auf die Umwelt auswirken und wie leichtfertig man mit allem umgeht, wenn man davon eben nichts versteht. Ja, Tanja sieht in Ingenieuren nur Leute, die Maschinen und Autos bauen. Aber darum geht es in erster Linie gar nicht. Es geht darum, die Produkte mit Hirn zu bauen und zwar so, dass sie dem Menschen nützen und nicht schaden, weder unmittelbar durch Krankheiten, noch durch die Umweltbelastung. Das ist es, was Andreas mit Freude und Sinn erfüllt, wann immer er mehr darüber lernt. Ob es diese Arbeit ihm wohl ermöglichen wird, in dem Feld auch später zu arbeiten?
Vertiefung: Erkenntnisse aus Jahrzehnten GaBi Arbeit in der Elektronik (Constantin Herrmann)
Elektronik ist überall in unserem Leben, offensichtlich und versteckt. Elektronikprodukte wie Computer, Smartphones, TV-Geräte, Küchenmaschinen, Kühlschränke, Bohrmaschinen, Mobilfunkboxen, Roboter, CNC-Maschinen usw. sehen und kennen wir alle, mehr oder weniger. Aber auch die versteckten Produkte wie elektronische Etiketten, sog. RFID tags, funktionale Gewebe mit Sensoren in Textilien, Bewegungsmelder, Lichtsensoren oder smarte NFC Funkchips begleiten unser Leben mehr oder weniger unsichtbar. Fakt ist, alle diese Produkte werden hergestellt einhergehend mit teilweise immensem Material- und Energieaufwand. So gut wie das gesamte Periodensystem an Elementen findet sich in Elektronik wieder, die unter Reinraumbedingungen gefertigt werden und Schaltelemente in Dimensionen einzelner Nanometer. Das sind Transistoren auf Halbleitern, die eine Gate-Breite von statistisch ca. 30 einzelne Atome vorweisen und davon einige Milliarden auf einem Quadratzentimeter gefertigt werden können. Und alle 18 Monate halbieren sich die Gate-Breiten und verdoppeln sich die Schaltgeschwindigkeiten.
Nach diesen schier unvorstellbaren Fertigungslinien reiht sich die Nutzungsphase. Üblich verbrauchen elektronische Produkte Strom, um zu funktionieren. Sei es aus der Steckdose oder über Batterien. Letztere müssen gewechselt werden, wenn der Energiehunger weitere Ladungen an Strom benötigt. Zwei, fünf oder zwanzig Jahre Strombedarf lässt den Umwelt-Fußabdruck oftmals schnell anwachsen, schneller als die aufwändige Herstellung bereits Spuren auf unserem Planten hinterlassen hat.
Irgendwann geht jedoch jede Nutzungsphase einmal zu Ende und ein weiteres Problemfeld der Elektronik eröffnet sich, die Entsorgungsphase. Unzählige Elemente wurden erst auf kleinsten Flächen in Bauelementen vereint. Edel und selten wie Gold, Dysprosium oder Indium aber auch verunreinigt wie flammgeschützte Kunststoffe mit Brom oder Antimon versehen, um am Entflammen gehindert zu werden. Die Vielzahl der Stoffe und deren oftmals kleinen Mengen lassen ein wirtschaftliches Recycling selten zu. Obwohl seit Jahrzehnten an Verwertungstechnologien gearbeitet wird, ist heute meist nur der Weg über Kupferhütten wirtschaftlich, die wenigstens Kupfer und Edelmetalle im Kreislauf halten können.
Die über Jahrzehnte erfolgte GaBi-Arbeit in der Elektronik erzeugte eine Datenbank, welche heute einige Hundert der gängigsten Elektronikkomponenten anbietet. Mit diesen Repräsentanten lassen sich nahezu alle bestückten Leiterplatten in ihrer Herstellung ökologisch bewerten, obwohl es weit mehr als 10 Mio. verschiedene Elektronikkomponenten am Markt gibt, wenn man ICs und Bauteile wie Widerstände und Kondensatoren sowie Leiterplattentypen, Lote und elektromechanische Bauteile zusammennimmt. Diese relativ geringe Anzahl an Datensätzen reicht aber aus, da sich ein Muster aus der Vielzahl an Daten, Studien und Projekten herausstellte. So kann jemand, der keine Zeit oder Muße hat sich um Details zu kümmern, schnell herausfinden, was eigentlich ökologisch relevant ist.
Dies ist zum einen die Thematik der Energieeffizienz, aufgrund der häufigen Dominanz der Nutzungsphase am ökologischen Fußabdruck. Jede Wattstunde Strom, die nicht verbraucht wird, ist ein ökologischer Vorteil. Aber Strom kann über vielfältige Arten erzeugt werden und unter der Annahme, dass sich „sauberer“ Strom oder besser regenerative Stromerzeugung durchsetzt, muss die Nutzungsphase in Zukunft nicht mehr zwingend der ökologische hot spot sein.
Daneben ist die schleppende Einführung einer funktionalen Kreislaufwirtschaft ein weiteres ökologisches Problem der Elektronik. Rohstoffe zu erhalten ist immer ein wichtiger Aspekt und ganz besonders für die Vielzahl der Rohstoffe in Elektronikprodukten. Sie benötigt allerdings das Zusammenspiel vieler Akteure, die in dieselbe Richtung ziehen müssten, um wirkliche Kreislaufwirtschaft in Märkten zu etablieren. Ein Thema, welches nicht nur für Elektronik einen Wendepunkt darstellen kann, aber für das Hersteller nicht die alleinige Verantwortung tragen.
Insofern lässt sich aus der Jahrelangen GaBi Arbeit eine einfache Daumenregel für Hersteller ableiten, wenn sie denn fragen: „worauf muss ich bei Elektronikfertigung achten, um ökologisch besser zu werden“, „wie kann ich ökologische Verantwortung für Produkte tragen“. Und bei aller Vielzahl von Einzelaspekten und Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, kann man mit der folgenden Vier-Punkte-Regel Dank GaBi weiterhelfen:
Regel
Ursache für ökologischen Fußabdruck der Herstellung von Elektronik
Einfluss und Maßnahmen
1 Ökologisch dominant sind die Flächen der Wafer-Chips in Halbleitern. Die kleinen Schaltungen auf Siliziumträgern, welche Smartness und Funktion in unser Leben bringen, dominieren i. A. den Fußabdruck aufgrund der enormen Energie zur Fertigung unter Reinraumbedingungen.
Höhere Integrationsdichten und mehr Funktion pro Fläche in Halbleitern senken den ökologischen Fußabdruck. Je weniger Chip-Fläche desto besser. Aber auch nicht sinnlos die größtmögliche Funktion (und damit Fläche) in jedes Produkt verbauen.
2 Die Fläche der Leiterplatten unter Berücksichtigung aller Flächen bei Mehrlagenleiterplatten aufgrund des Energiebedarfs zum Drucken und Ätzen der Leiterplattenoberflächen.
Der Herstellungsaufwand stammt aus der Prozesstechnik mit nasser Druck- und Ätztechnologien und je weniger Leiterplattenfläche gefertigt wird, desto geringer der ökologische Fußabdruck. Miniaturisierung kann helfen, siehe auch Regel 1.
3 Die Miniaturisierung der Elektronik einhergehend mit dem immensen Energieeinsatz unabhängig von Materialmengen dominiert den ökologischen Fußabdruck. Dennoch gibt es auch schwere Baugruppen und Bauteile wie Transformatoren mit dicken Kupferwicklungen und magnetischen Eisenkernen oder riesige Elektrolytkondensatoren und andere materialmengenrelevante Bauteile. Materialmenge kann auch die höchste materialunabhängige Energieintensität übertrumpfen.
Die Miniaturisierung der Elektronik wurde ökologisch als Allheilmittel angesehen, was sie nicht ist (siehe Regel 1 und 2, da immer mehr Fläche erzeugt wird, und Regel 4 mit immer reineren High-Tech-Materialien). Dennoch spielt Materialeinsatz ökologisch auch auf Leiterplatten eine Rolle und weniger Material ist weniger Fußabdruck. Abhilfe schafft dort Fokus auf sortenreines Recycling und Weiter- und Wiederverwendung, also Kreislaufwirtschaft.
4 Miniaturisierung braucht edle und seltene Materialien, um Funktion bei geringstem Materialeinsatz sicherzustellen. Da wie erwähnt das nahezu gesamte Periodensystem zu finden ist, stechen einige Materialien mit ihrem Fußabdruck auch bei kleinsten Mengen heraus, wie Gold und andere Edelmetalle, einige seltenen Erden wie Dysprosium oder Praseodymium, aber auch Indium oder Cobalt bringen hohe ökologische Rucksäcke mit Vermeidung oder Minimierung von edlen und seltenen Materialien mit extrem hohem Fußabdruck, wie bsw. Minimierung der Goldschichtdicken von Kontakten und Fokus auf deren Separierung bei kleinsten Materialmengen (siehe demgegenüber Regel 3) für sortenreines Recycling und Weiter- und Wiederverwendung, also Kreislaufwirtschaft.