Paul sitzt in der winzigen Küche seines Apartments im 20. Stock des Kyotoer Wohnhauses. Die Küchenuhr über der Tür zeigt 3:12 a.m. Es ist stockfinster draußen. Selbst der Verkehr in der Millionenstadt kommt zu dieser Zeit ausnahmsweise zum Erliegen. Paul streift sich die Haare nach hinten und bemüht sich, die Augen auf zu halten. Seit gestern Abend um 22:00 Uhr sitzt er nun schon hier. Vor ihm ausgebreitet sämtliche Präsentationen zur SoFi Software. Auf dem Laptop finden sich screenshots der Software. Paul ist todmüde, aber er ist noch nicht ganz durch. „Ich muss aber noch wenigstens eine Stunde schlafen vor dem Termin“, sagt er sich. „Den Rest packe ich aber jetzt auch noch“. Er starrt auf die letzte erst halb gelehrte Bierdose. Dann steht er auf und geht rüber zur Espresso-Maschine. Die Japaner lieben den Tee. Er hat ihn auch lieben gelernt. Aber in diesem Moment tut es der Tee nicht. Er braucht Koffein, das ihn irgendwie von jetzt bis in den kommenden Vormittag trägt. Dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht und er schaut hinaus auf den auch nachts durch die Lichter der Stadt nicht ganz schwarzen Himmel. „Es hat sich irgendwie nichts verändert seit unseren Anfängen bei GaBi“, denkt er sich. „Wir haben schon immer die Nächte durchgemacht wenn es sein musste. Und es hat uns weitergebracht.“
Er nimmt die mittlerweile gefüllte und dampfende kleine Tasse mit dem schwarz-weißen Streifenmuster und stellt sie rüber neben den Laptop. Dann schaut er sich noch einmal die Beschreibung der Indikatoren an, die SoFi misst. „Hätte ich das nicht mal früher lernen können?“ fragt er sich. Aber er weiß die Antwort. Es war nicht nötig. Er ist Experte zu GaBi und nicht zu SoFi. Aber wenn es drauf ankommt, dann hat jeder immer alles gemacht im GaBi-Team. So wird es auch morgen sein. Wie war ihr Spruch immer? „Paul verkauft auch Kühlschänke an Eskimos und Doppelbetten an den Papst!“ Den Termin bei dem japanischen Maschinenbauer hatte eigentlich Leonard wahrnehmen sollen. Aber der ist krank und musste seine Reise absagen. Es gibt auch keinen anderen im GaBi Team, der einspringen könnte. Paul ist ja der Einzige in Japan, der die Geschäfte hier vorantreibt. Und vor allen Dingen ist er der Einzige, der die Japaner versteht. Das ist nicht ganz einfach. Aber er liebt dieses Land ganz besonders.
Wer oder was ist SoFi?
SoFi (Soziales und Finanzen) wurde maßgeblich durch Hartmut Schöch, Mitglied der ersten GaBi-Generation, vorangetrieben. Er entwickelte die Software im Rahmen seiner Diplomarbeit. Hintergrund war die Erkenntnis, dass neben der ganzheitlichen Bilanzierung von einzelnen Produkten und Stoffen auch ganze Unternehmen und deren Managementprozesse Instrumente für nachhaltige Steuerung benötigen. Die SoFi-Software ist ein Corporate-Sustainability-Management-Tool, das sich für viele verschiedene Anwendungsfälle eignet. Es handelt sich dabei um eine webbasierte Lösung.
Der Software liegt eine simple, aber höchst flexible Datenstruktur zugrunde, die eine individuell zugeschnittene Datenerfassung sowie passgenaue Auswertungen im Analysebereich möglich macht.
Mögliche Anwendungsfälle sind neben dem klassischen Reporting und Nachhaltigkeitsperformancemanagement u. a. das Supply Chain Management, Auditing oder auch der Health-and-Safety-Bereich.
Die SoFi-Anwendung eignet sich für Unternehmen jeder Branche und ist auf eine internationale Anwendung ausgelegt. (Springer Abstract)
Er erinnert sich noch an sein erstes großes Bankett. Das war beim ersten großen Kunden, den die PE damals hier hatte. Er war als einziger von der Firma eingeladen. Sogar am Tisch des Vorstandes des japanischen Elektronikherstellers durfte er Platz nehmen. Das war eine große Ehre, was Paul damals noch gar nicht so klar war. Dann trat der Boss an ihn heran und sagte nur einen Satz, den Paul gar nicht verstand. Er wusste noch nicht einmal, ob das nun Englisch oder Japanisch gewesen war. Dann überreichte er dem Chef zur Sicherheit in salopper fränkischer Manier seine Visitenkarte mit einer Hand. Der Japaner lächelte die ganze Zeit. Paul lächelte zurück. Später erst sagte ihm einer der Assistenten auf japanischer Seite, der lange in den USA gelebt hatte, dass er alles falsch gemacht hätte, was man hätte falsch machen können. Aber der Firmenboss hatte ihn ins Herz geschlossen, weil Paul am Tag zuvor die GaBi-Software gemeinsam mit seinen Leuten im Detail durchgegangen war und gezeigt hatte, was sie den Menschen und dem Unternehmen Gutes bringen würde. „You good man“, hatte einer von ihnen gesagt. Das hatte den Vorstand überzeugt. Nun hatte Paul das Vertrauen, auch wenn er in Sachen interkultureller Kompetenz in Japan offensichtlich noch lernen musste. „Never give your business card with one hand only“, hatte der Assistent ihm noch geflüstert. Paul machte sich eine mentale Notiz: Kulturführer Japan besorgen.
Das war erst Anfang 2009 gewesen, noch keine 12 Monate her. Jetzt fühlt er sich bereits sicher in diesem vermeintlich fremden Land. Dabei verbringt er weiterhin viel Zeit auf Reisen in andere Länder. Auch das war von Beginn an Teil der Gabi-Arbeit. „Wünsche werden selbst erfüllt“, hatte Thomas immer gesagt. Dazu gehörte bei ihm immer, dass er die Welt sehen konnte. Natürlich musste man auch immer was nach Hause mitbringen, wenn man schon irgendwo hinflog. Aber das war selten ein Problem. „Du kommst auch immer mit irgendeinem Deal nach Hause“, hatte Frank mal gesagt. Das war, als er vor einigen Wochen wieder mal zu einer Minenbesichtigung nach Südafrika geflogen war. Eigentlich ging es um die Datensammlung zu Silber. Das wäre aber wieder eine langfristige Angelegenheit geworden. Er hätte dort bleiben müssen. Er mochte Südafrika und hatte dort für Nemesis bereits viele Monate gearbeitet. Aber jetzt war er an einem anderen Punkt. Er wollte auch bald wieder zurück nach Deutschland. Trotzdem schaffte er es, dass der Besuch für etwas gut war. Auf der Fahrt in die Mine hatte er eine Bambusfarm beobachtet. Dann erzählte ihm sein Begleiter, dass Bambus das „neue Silber“ wäre. Paul ließ sich auf die Schnelle alles erklären. „Und was ist mit der Umwelt?“ fragte er sofort. „Was ist mit Nachhaltigkeit, wenn die Bäume alle weg sind?“ fragte er in gekonnt schwäbischem Englisch. Auch dafür hatte sein Begleiter viele gute Antworten, die Paul überzeugten. Er ließ sich noch vor Ort erste Unterlagen geben und das Gespräch endete mit dem Satz: „If you want, you can get data on Bamboo.“ Paul brachte das mit zurück nach Stuttgart ins Office. Alle lachten. Dich schickt man nach Afrika für Silber und Du kommst zurück mit einem Bambus-Deal!“
Paul nimmt noch einen letzten Schluck aus der Espresso-Tasse. Er fragt sich, wie lange er hier noch vor sich hinträumen soll. Seine Gedanken sind schon wieder abgeschweift. Mittlerweile zeigt die Uhr 4:30. Er beschließt, es jetzt gut sein zu lassen. Er muss jetzt einfach noch schlafen, bevor er gegen 6:30 Uhr die U-Bahn zum Kunden am anderen Ende der Stadt nehmen muss. „Es wird schon passen“, denkt er sich. „Es hat immer gepasst, wenn wir was angepackt haben bei GaBi.“ Nur wenige Stunden später sitzt er im Büro des japanischen Maschinenbauers. Das Meeting findet in einem für japanische Verhältnisse niedrigen Industriebau statt. Um den Geschäftsführer herum sitzen alle wichtigen Führungskräfte. Pauls Müdigkeit der letzten Nacht ist wie weggeblasen. Folie für Folie geht er die Vor- und Nachteile einer ganzheitlichen Bilanzierung durch. Das ist der Teil, den man fast 1:1 von GaBi übernehmen kann. Doch auch beim SoFi spezifischen Teil kommt er gut voran. Er weiß genau, worauf es den Japanern ankommt. Er betont besonders die Stellen, an denen es darum geht, dass man mit kleinen Maßnahmen viel bewirken kann. Und er macht klar, wie die Mitarbeiter durch die Thinkstep Berater angeleitet werden. Wie immer könnte man als Außenstehender kaum sehen, was gerade in den japanischen Führungskräften so vorgeht. Paul merkt aber feine Unterschiede und es läuft gut. Der Vortrag dauert nicht einmal 30 Minuten. Es folgen noch kurze Fragen zu Antworten. Noch nicht mal eine Stunde nach dem Gesprächsbeginn sitzt Paul schon wieder im Zug zurück in Richtung Nemesis Office. Er schreibt eine kurze SMS nach Stuttgart. „Alles gut gelaufen.“ Dann döst er kurz ein. Noch am Tag darauf bestätigt sich sein Gefühl. Die Firma schickt einen Auftrag für den Kauf der SoFi-Software samt zweijähriger Lizenz. „Der Gerlach… kommt immer mit einem Auftrag im Gepäck zurück“, klingt es noch in seinen Ohren.