„Greenwashing Champions!“, sagt Paul laut zu Marc, der neben ihm auf der Rückbank des alten Audi 80 sitzt. „Das ist doch echt nicht zu fassen, was die Amis da abziehen“. Paul, Marc und Anna, die am Steuer Richtung Süden sitzt, unterhalten sich noch einmal über ihre Erfahrungen vom USA Besuch. Noch nicht einmal einen Monat ist es her, als sie die Green Building Conference 2004 in Portland besucht haben. Angeblich ist es die größte Konferenz zu nachhaltigem Bauen. Tatsächlich ist es wohl, so jedenfalls Paul und Marcs Eindruck, die größte Marketingkampagne zur Nachhaltigkeit aller Zeiten. „Anna, Du kannst Dir das nicht vorstellen. Wir sind da durchgelaufen und alle großen Firmen waren da. Verstehst Du? Und dann haben die da Stände, wo groß World Innovation and Sustainability Revolution draufsteht und was siehst Du dann? Da zeigen die doppelt verglaste Fenster und eine Energierechnung daneben! Das gibt es doch nicht. Das haben wir hier in Deutschland seit Jahrzehnten. Denk zurück an die erste GaBi-Bilanz vom VW! Da haben wir schon Glas bei den Scheiben drin. Es ist nicht zu fassen.“
Wenn Paul so erzählt, könnte man meinen, er rege sich gern auf. Aber tatsächlich ist er ein sehr optimistischer und positiv gestimmter Mensch. Er ist Gewächs der ersten GaBi-Generation und einer der Gründer der PE beim Umbruch 1994. Es hatte ihn damals, genau wie die anderen, nicht lange Überlegungen gekostet. 50.000 Euro und das unternehmerische Risiko waren zwar viel gewesen, aber sie alle glaubten an GaBi. Und der Erfolg gab ihnen schließlich recht. Die PE war seitdem auf mehr als 30 feste Mitarbeiter im Jahr 2003 angewachsen. Und von Beginn konnte jeder weiter die Themen vorantreiben, für die er oder sie brannte. Bei Paul war das von Beginn an das Thema Bauen. Die ersten Studien damals drehten sich ja alle um Zement. Das war die Nr. 1 Dreckschleuder unter den Baustoffen. Dann kamen die Dämmstoffe hinzu. Und nun, nach annähernd 25 Jahren mit GaBi, hat Paul das Gefühl, dass die richtigen Durchbrüche erst vor der Tür stehen. Zwar gibt es die Forschung schon lange, aber so richtig im Bewusstsein scheint das Thema noch nicht zu sein. Das sieht auch Marc so. „Paul, Du musst auch sehen, dass die Amis da noch auf einer ganz anderen Stufe sind. Schau doch mal an, was die für riesige Karren fahren. Das sind zwar auch Clichés, aber Du hast es ja wieder gesehen, als wir da waren. Die lassen sich dann von solchen Slogans dazu verleiten, zumindest etwas zu verändern.“ Paul nickt, ist aber trotzdem entschlossen, irgendetwas anzupacken, um das Thema nachhaltiges Bauen in Deutschland voran zu treiben. „Autos sind nicht Häuser. Über Autos sprechen sie mittlerweile auch hier endlich in der Fläche. Über Bauen noch nicht. Auch hier waren wir mit GaBi unter den Ersten, aber noch immer gelten wir und die Kunden, die GaBi nutzen, zu Pionieren. Das kann doch nicht sein. Wir müssen in der Breite dafür sorgen, dass nachhaltiges Bauen zum Standard wird.“ „Dann gründe doch Deine eigene Grünes Bauen in Deutschland Gesellschaft!“, ruft Anna hinter dem Lenkrad zurück zu den beiden.“ Sie tut dies mit einem breiten Grinsen als würde sie einen Scherz machen. Das Gesicht von Paul im Rückspiegel verrät aber, dass er das alles andere als abwegig findet. „Achtung“, ruft Marc, „Du musst hier raus. Da steht Holzkirchen 10 km.“ „Oh, oh…“ Anna blinkt schnell und schafft die Ausfahrt noch.
Eine halbe Stunde später sitzen Paul, Marc, Anna und Günther Seeberger beim Chinesen im Ortskern von Holzkirchen. Günther ist hier stellvertretender Leiter des Fraunhofer Instituts für Bauphysik. Er war es, der die GaBi-Abteilung zu sich ans Institut holte, als Thomas in Pension ging und viele Dinge an der Universität umgeordnet wurden. „Der Günther ist keiner von den arroganten Lackaffen, denen es nur ums Image geht“, hatte ein Kollege ihm gleich am Anfang seiner GaBi-Zeit über Günther gesagt. Das stimmte auch. Zumal Günther Physiker ist und damit wunderbar in das interdisziplinäre Bild der GaBianer passt. Günther bestellt das Mittagemenü mit Suppe und Huhn. Paul und Anna nehmen das gleiche mit Frühlingsrolle, Marc entscheidet sich für gebratene Nudeln. „Also ich habe Euch für nachher für die Messe Ausweise besorgt. Ihr könnt auch Flyer und Visitenkarten beim Stand von den Institutskollegen in Halle 3 hinterlegen. Mehr war leider nicht drin. Ihr müsstet Euch halt schon mal früher über Messedaten informieren und die Anmeldungsfristen auch einhalten“, sagt Günther in teils mahnendem, teils grinsendem Ton. Er kennt die GaBis nun schon seit den Anfängen und weiß, dass langfristige Planung nur ihre Sache ist, wenn es sein muss. Wenn sich aber kurzfristige Gelegenheiten ergeben, um ihre gute Sache voran zu treiben, dann finden sie auch andere Wege zum Ziel. „Günther, ich weiß“, sagt Paul etwas kleinmütig. „Das war ja ein kurzer Entschluss, weißt Du. Der Marc und ich waren doch auf der Green Building in den USA und wir müssen da einfach was machen in Deutschland. Die erzählen einfach was von ‚sie sind die Größten und Besten‘ und verkaufen nach unserem Forschungsstand einfach keinen Inhalt. Wir müssen was machen, Günther“. „Da bin ich ja ganz bei Euch. Aber Du weißt als GaBianer am besten, dass man Visionen nicht verkaufen kann. Was genau stellt Ihr Euch denn vor?“ Paul wirft einen kurzen Blick auf Anna. Die sieht plötzlich genau, was in Paul Kopf vorgeht. „Oh, nein, Paul, das ist doch nicht Dein Ernst?“ gibt sie ungefragt zurück. „Doch, Anna, Deine Idee vorhin im Auto war gar nicht so schlecht. Im Gegenteil, das ist genau das, was es hier braucht. Aber nicht nur eine Messe oder so, davon gibt es genug. Wir brauchen eine Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, einen Verband, damit wir das nachhaltige Bauen an alle Hersteller und Architekten und überhaupt jeden bringen, der am Bauen beteiligt ist.“ Als Paul das sagt, schaut ihn Marc von der Seite an und lässt kurz die Gabel sinken, mit denen er sich in Windeseile riesige Happen der gebratenen Nudeln in den Mund geschaufelt hat. „Paul, Du klingst gerade wie Thomas Reiter in seinen besten Zeiten“. Günther nickt zustimmend. Paul wartet nicht lange. „Ich klinge nicht so, wir alle sind GaBis und haben schon immer Weltverbessern mit pragmatischen Lösungen verbunden. Nur deshalb konnte aus GaBi die PE werden und dann Thinkstep. Und jetzt ist es Zeit, dass wir ein weiteres großes Projekt angehen, das GaBi-Gene in sich hat.“
Emissionshandel in Europa
Mit dem EU-Emissionshandelssystem (ETS), eingeführt 2005, hat die Europäische Union einen Marktmechanismus geschaffen, der CO2 einen Preis gibt und Anreize schafft, die Emissionen auf die kosteneffizienteste Weise zu reduzieren. In den vergangenen 16 Jahren konnten die Emissionen der Stromerzeugung und der energieintensiven Industrien um 42,8 Prozent gesenkt werden. Im Rahmen des Systems müssen die Unternehmen Zertifikate in Höhe ihrer CO2-Emissionen halten, wodurch die Stromerzeugung aus der Verbrennung von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen teurer und saubere Energiequellen attraktiver werden. Gleichzeitig wird den Unternehmen ein Anreiz geboten, energieeffizienter zu werden, da sie ihre Emissionsrechte dann auf dem Markt verkaufen können.
Den Rest des Tages verbringt die GaBi-Gruppe auf der Messe am Tegernsee. Hier sind alle deutschen Baufirmen und auch wissenschaftliche Institute für Ökologie im Bau. Sie haben sich von Günther noch mit wichtigen Telefonnummern von Ansprechpartnern versorgen lassen, die für ihr Unterfangen wichtig werden könnten. Wie immer sind sie vorhin beim Chinesen sofort von der Frage nach dem „ob“ zu dem „wie genau“ übergegangen. Sie sind sich noch nicht ganz sicher, wie genau sie ihre Unternehmung nennen sollen und was genau die Kernaufgaben und der Mehrwert sein wird. Aber fest steht für Paul, dass dies sein neues Projekt sein wird. Nachhaltiges Bauen muss zu den Firmen und in das Bewusstsein derer, die neue Bauten in Angriff nehmen. Die Nachfrager müssen das einfordern. Es darf keine Ausnahme mehr sein, dass jemand nachhaltiges Bauen als Marketing benutzt. Im Gegenteil, gerade andersherum soll es bald sein. Dass jeder, der nicht daran denkt, Nachteile auch wirtschaftliche Nachteile zu spüren bekommt, weil er die Umwelt nicht mitbedenkt. „Was haltet Ihr von Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen als Arbeitstitel. Klingt langweilig wie Ganzheitliche Bilanzierung, ist aber genau das, worum es geht?“ fragt er Marc und Anna, als sie über die volle Messe hecheln und sich eher flüchtig die ausgestellten Bauinnovationen anschauen. „Klingt ganz nach Zukunft“, gibt Anna zurück. „Du, schau mal, da ist der Meyer von der Dämmstoffefirma. Wollen wir dem nicht gleich davon erzählen? Vielleicht hilft er uns, ein erstes Exposé anzufertigen“, schlägt Anna vor. „Du weißt schon, wir machen wieder das bewährte System: Wir brauchen einen schlagkräftigen Einseiter mit dem Konzept und damit gewinnen wir Unterstützer für erste Pilotprojekte.“ „Gute Idee“, sagt Marc. „Und woraus genau bestehen diese Pilotprojekte?“ Paul schaut rüber zu dem Stand, an dem besagter Meyer offensichtlich einigen Geschäftspartnern aus dem Ausland einen neuen Dämmstoff erklärt. „Keine Ahnung, finden wir raus“, sagt Paul entschlossen. „Wir haben ja noch die Rückfahrt nach Stuttgart“.
Den Rest des Abends verbringen die drei in einer verrauchten Bar nahe Holzkirchen, wo Günther ihnen eine Übernachtung in einer Pension besorgt hat. Hier sitzen sie bis 2:00 Uhr morgens, rauchen und trinken viele Biere. Fast scheint es wieder so wie in den Ursprungstagen, als sie noch nächtelang im Institut gearbeitet haben, während im Nebenzimmer die GaBi-Software Berechnungen auf dem Computer steuerte und sie inmitten von Pizza-Kartons und Bierdosen Angebote für neue Industrieprojekte fertig stellten. „Wir haben uns auch irgendwie nicht verändert“, stellt Mark fest, als sie endlich auf dem Weg in die Pension sind. „Doch, Mark, haben wir. Wir haben uns inhaltlich weiter entwickelt. Wir sind mit unseren Themen und der Datenbank weiterhin der Konkurrenz in Wissenschaft und Wirtschaft einen Schritt voraus“, gibt Paul zurück. „Und als Menschen haben wir uns auch weiterentwickelt, jeder von uns. Schau Dir an, wie viele von den alten GaBis heute Führungskräfte bei großen Firmen sind, Professoren oder ihre eigenen Firmen haben. Und auch wir bei der PE. Wir sind gewachsen, nicht nur personell. Wir haben so viele Fehler im Laufe der Jahre gemacht, dass wir umso mehr draus gelernt haben. Das bringen wir jetzt hier ein. Ich fühle mich bereit dazu. Ich merke schon länger, dass ein neuer Schritt ansteht. Das hier scheint er für mich zu sein. Also von keiner Veränderung, kann da nicht die Rede sein“.