Andreas sitzt seit Tagen im Büro vor dem Computer. Die anderen fangen schon an, sich ernsthaft Sorgen zu machen. „Andreas, nun lass doch auch mal gut sein, Du bist schon so verbissen geworden,“ sagt Christine, als sie sich auf den Weg zum Kaffeeautomaten macht. Auch Paul schaut leicht besorgt und nicht mit der üblichen Ironie vom Schreibtisch gegenüber. „Das sagt die Richtige“, gibt Andreas zurück. „Du musst Dich mal sehen, wenn Du an GaBi programmierst. Da bist Du auch nicht gerade ein Tischfeuerwerk an Gelassenheit. Außerdem geht es hier nicht um irgendeine Werkstoffbilanz. Es geht um die größte und bahnbrechendste Bilanz, die wir bislang gemacht haben.“ Andreas schaut kaum vom Bildschirm hoch als er das sagt. Fast scheint es, er würde das alles mehr sich selbst erzählen als den Kollegen im Raum. Doch das ändert nichts daran, dass jedes Wort davon richtig ist. Sie alle haben schon unzählige Werkstoffe bilanziert. Doch am Beispiel des VW Golf können sie erstmals an einem ganzen Produkt, das auch noch jeder in Deutschland kennt und etwa acht Millionen Deutsche vor der Tür stehen haben, zeigen, was so ein Auto wirklich „kostet“ — und zwar von der Produktion bis zur Entsorgung. Das hat in Deutschland noch keiner gemacht und es ist der Beweis, dass das, woran sie seit über vier Jahren arbeiten, der Schritt in die Zukunft der Nachhaltigkeit ist. „Ist Markus schon zurück mit den Lackdaten?
Wo steckt der denn? Herrgott noch mal, kann hier auch einmal jemand seine Arbeit gewissenhaft machen und sich an Absprachen halten? Verflucht noch mal.“ Andreas haut noch viel härter in die Tasten während er das sagt. Er hat gar nicht bemerkt, dass Christine bereits wieder mit Kaffee zurück ist. Sie stellt die Tasse neben ihn auf den Tisch, allerdings mit gehörigem Abstand zur Tastatur. Sie will verhindern, dass Andreas in der erhitzten Stimmung die Tasse umwirft. „Du hast auch schon mal danke gesagt,“ erinnert Christine Andreas als sie zurück an ihren Platz läuft, um sich wieder der GaBi-Software zu widmen. „Was?“ Andreas schaut kurz hoch zu ihr und bemerkt den dampfenden Kaffeebecher neben sich. “Ach so, ja, danke”, grummelt er. “Weißt Du, wo der Müller ist? Das gibt es doch gar nicht. Er wollte mir doch längst die Lackdaten gegeben haben.“ Christine nimmt die Finger von ihrer Tastatur und atmet kurz durch. Dann schaut sie auf ihre Armbanduhr. „Andreas.“ Keine Reaktion. „Andreas, kannst Du mir bitte mal eine Minute gerade zuhören?“ Andreas fährt zunächst mit dem Tippen seines Papiers fort. Dann wird er doch von der Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme abgelenkt. Er unterbricht und schaut sie fragend an. „Andreas, es ist jetzt 20:41 Uhr. Markus ist heute schon bis nach 19:00 Uhr geblieben. Er fängt jeden Tag hier oft noch vor 6:00 Uhr an, damit er am späten Nachmittag seine Kinder wenigstens noch eine Stunde sieht. Das hat er von Anfang an so gesagt und das hast Du auch immer für richtig gehalten. Andreas, wenn Du Dich hier ins Grab arbeiten willst, dann ist das Deine Entscheidung. Und ja, wir alle machen da meist auch mit. Denn das ist unsere Entscheidung und allen hier macht es ja auch Spaß. Aber wenn Du Dir mal die Jüngeren anschaust, dann weiß ich nicht, ob das auf Dauer die Lösung sein kann, dass wir hier gemeinsam mit unserem Workaholictum alle überfordern und Du sie dann auch noch anschnautzt, obwohl sie schon bei Weitem über ihre Grenzen gehen.“ Andreas hat während Christines Worten den Blick nie vom Bildschirm gleiten lassen. Man merkt ihm aber an, dass die Worte gesessen haben.
Für den Rest des Abends herrscht, wie man es kaum kennt bei GaBi, eisernes Schweigen. Gegen 22:00 Uhr fährt Christine den Rechner herunter. Da ist Andreas schon bei weit über der Hälfte des Aufsatzes angekommen, den er heute wie ein Besessener zur VW-Bilanz vorangetrieben hat. Und er ist noch lange nicht fertig. Noch einige Male blitzen Christines Worte von vorhin auf. Doch er weiß, was er tut und er weiß auch, dass bislang jeder Fortschritt bei GaBi mit harter Arbeit verbunden war. So wird es auch bleiben und die VW-Bilanz ist ein maßgeblicher Schritt in die Zukunft. Als sie vor mehr als drei Jahren mit der Datenbank begannen und das erste Kotflügelprojekt an Land zogen, hätte niemand für möglich gehalten, das solch eine komplexe Bilanz bis heute möglich wäre. Andreas hat schnell daran geglaubt, als er das Potenzial sah, das insbesondere durch die Software ins Spiel kam. Zunächst war GaBi ja gar nicht als Produkt für Kunden konzipiert gewesen. Sie brauchten das Instrument, um die Bilanzen zu erstellen. Als dann die ersten Automobilhersteller Interesse an der Software zeigten, war der Wert der Software als maßgebliche Säule der Beratungsarbeit bestätigt. Nach wie vor würde es aber immer darauf ankommen, dass GaBi nicht ohne wissenschaftliche Beratung funktioniert. Nicht umsonst hat Andreas viele Jahre das Handwerk des Ingenieurswesen verbunden mit all den naturwissenschaftlichen und mathematischen Grundlagen erlernt und vertieft. All das fließt jetzt in dieses Papier, das Teil seiner Dissertation werden wird.
Als Andreas die letzte Zeile getippt hat, ist die Sonne über Stuttgart bereits aufgegangen. Die Uhr über der Tür zeigt 6:23. „Die Zusammenfassung und das Literaturverzeichnis mache ich morgen“, sagt er sich. Um ihn herum stehen unzählige Kaffeebecher. Andreas steht auf, um die Deckenleuchte auszumachen, die ihm geholfen hat, die Nacht zum Tag zu machen. Als er die Becher einsammelt und sich auf den Weg zur Teeküche macht, begegnet ihm bereits Markus auf dem Flur. „Andreas, guten Morgen, bist ja auch schon da“, begrüßt er ihn. „Hmmm“, gibt Andreas zurück. „Bin noch da.“ Markus geht ins Büro und fährt den Rechner hoch, wie er es eigentlich jeden Tag noch allein hier tut. In diesen frühen Morgenstunden gehört das Büro meist ihm allein. Er hat sich von Beginn an entschieden, das GaBi-Workaholic-Dasein nicht abfärben zu lassen. Das würde ihm seine Frau nie verzeihen. Aber vor allem würde er es sich selbst nie verzeihen. Die Kinder sind nur einmal klein. Und verlorene Zeit mit den Menschen, für die man arbeiten geht, kann man nicht wiedergutmachen. Das war für ihn immer klar. Er versteht, dass die anderen im GaBi-Team dafür manchmal wenig Verständnis haben. Aber die meisten von ihnen haben auch noch keine Familie. Markus dreht sich kurz im Bürostuhl um und blickt auf die drei Fotos von Max, Luisa, und seiner Frau Beate, die hinter ihm auf dem Aktenregal stehen.
Mittlerweile ist Andreas zurück mit einer frischen Tasse Kaffee und hat auch Markus eine mitgebracht. „Du, Markus“, beginnt er in einem Ton, der irgendwo zwischen gezwungener Gelassenheit und Entschuldigung liegt. „Ich, hm, also ich wollte Dir noch was sagen.“ Markus blickt Andreas erwartungsvoll an, während er an der heißen Kaffeetasse pustet. „Ja, was gibt es?“ „Also, Markus…“. Andreas hält inne. „Christine hat gestern…“ „Ja, was hat Christine gestern gesagt oder gemacht?“ Andreas schaut kurz aus dem Fenster, dann dreht er sich wieder um zu Markus und fährt in seiner üblichen professionellen Tonlage fort, die eben ganz aus den Fugen geraten zu sein schien. „Ach, nichts, ich wollte Dich einfach nur nach den Daten für die Lackierung fragen. Die müssen noch in den Aufsatz, den ich gerade fertiggestellt habe. Beziehungsweise habe ich jetzt die vorläufigen Daten rein genommen, aber ich drucke es einfach gerade aus und dann kannst Du handschriftlich durchgehen und korrigieren, wenn das nicht die aktuellen sind.“ Markus nickt. Für einen Moment hätte er schwören können, dass Andreas etwas ganz anderes sagen wollte. Aber da schien er sich geirrt zu haben. „Klar, mache ich. Die Daten überprüfe ich heute Morgen eh noch mal und mache noch letzte Rechnungen mit GaBi.“, gibt Markus zur Antwort. „Willst Du jetzt nicht erst mal nach Hause gehen, wenn Du die ganze Nacht gemacht hast, Andreas?“ Andreas stiert kurz auf den Bildschirm, wo in der Textdatei noch der Aufsatz geöffnet ist. „Ja, ist vielleicht keine schlechte Idee. Ich gehe kurz heim und mache mich frisch. Mona ist bestimmt auch nicht unerfreut, wenn sie mich mal wieder bei Tageslicht sieht.“ Dann drückt Andreas auf den Drucken Button und schaltet danach den Rechner aus. Beide hören, wie der Nadeldrucker im Nebenzimmer seine Arbeit beginnt. „Tschüs, bis später“, verabschiedet sich Andreas.
Als er schon fast aus der Tür ist, dreht er sich noch mal um. „Sag mal, Markus. Wenn Du Deine Diss. rum hast. Kannst Du Dir dann auch was anderes als GaBi vorstellen? Ich meine, nicht, dass ich jemals jemanden motivieren würde, hier weg zu gehen. Aber ich meine einfach so aus Interesse und Perspektiven.“ Markus lässt den Bleistift sinken, mit dem er bis eben die Zeilen und Spalten einer Berechnung durchgegangen ist. Solch eine Frage hat er von Andreas noch nie gehört. Aber die Antwort fällt ihm nicht schwer. „Klar, habe ich, Andreas. Ich denke schon, ich weiß, wohin mein Weg führt. Ich kann mir nichts anderes als GaBi vorstellen, aber mein Weg wird nicht in die PE führen. Ich lebe nicht, um zu arbeiten. Ich arbeite, um eine gute Balance aus dem zu haben, was mir Freude macht und dem, was mich als Vater und Ehemann bin. Ich habe mir schon oft überlegt, wie das wäre, wenn ich meinen eigenen Laden aufmachen würde und selbstständig bin. Ich glaube, das passt zu mir und sobald meine Diss. soweit ist und mein Vertrag hier ausläuft, gehe ich das an. Das ist nicht ‚gegen‘ das Team hier, Andreas, das weißt Du. Es ist einfach, weil ich andere Prioritäten im Leben setze und privat eben auch schon ein bisschen gebundener bin als die meisten von Euch.“ Andreas hat während der ganzen Worte trotz der Müdigkeit, die seinen Körper bis in jede Faser durchzieht, aufmerksam zugehört. Er nickt wohlwollend und sagt nur. „Ich weiß, Markus, danke für Deine Ehrlichkeit. Ich kann mir Dich gut als Selbstständiger mit GaBi vorstellen.“ Dann dreht er sich um und sagt noch. „Wenn mich jemand sucht, ich bin spätestens um 11:00 Uhr wieder da zu dem Termin mit BASF.“ Als er später im Auto sitzt, das er schon vor einigen Jahren gegen die studentische Vespa eingetauscht hat, klingen die Worte von Markus noch nach. Ein bisschen beneidet er ihn. Er wüsste auch gern, wohin das hier für ihn alles fühlt. Und trotz der Begeisterung schleicht sich immer mehr das Gefühl ein, dass auch sein Weg vielleicht nicht immer hier an der Uni weitergehen wird.
Vertiefung: Stark gekürzter Auszug einer wissenschaftlichen Publikation zur Golf-Bilanz (Manfred Schuckert)
Sachbilanz eines Golf
1 Einleitung
Die individuelle Mobilität ist ein Eckpfeiler unserer modernen Industriegesellschaft. Sie wird heute mit einer großen Zahl vom Automobilen aufrecht erhalten. Das Auto ist ein von Kunden besonders begehrtes Produkt, weil es speziell auf die Bewegungsfreiheit des Einzelnen zugeschnitten ist.
Wegen der großen Zahl interessieren sich Hersteller, Halter und Staat für die vielfältigen Umwelteinflüsse von Automobilen. Ein typisches Merkmal nicht nur vom Auto, sondern auch von anderen Industrieprodukten ist, daß sich deren Umwelteinflüsse aus einer Vielzahl kleiner Komponenten an den unterschiedlichsten Orten zusammen setzen und kumulieren. Das beginnt bei der Gewinnung der Rohstoffe und endet mit der Deponie der unvermeidlichen Reste.
Die Ökobilanz eines Produktes besteht laut ISO 14040 aus 3 Abschnitten:
– Sachbilanz, in der möglichst alle benötigten Stoffarten und -mengen, sowie die eingesetzten Energiearten und -mengen für die Herstellung, Nutzung und Entsorgung eines Produktes registriert werden. Die Herstellung des Produktes schließt die Gewinnung der Rohstoffe und deren Weiterverarbeitung ein. Weil für die Herstellung, Nutzung und Entsorgung zusätzliche Produkte und Anlagen erforderlich sind, muß eine Grenze vereinbart werden. Diese Grenze legt fest, was dem betrachteten Produkt noch zugerechnet wird und was nicht. Sie wird mit Systemgrenze oder Bilanzrahmen bezeichnet.
– Wirkungsabschätzung, in der Umwelteinflußkategorien vereinbart werden, darunter Treibhauseffekt, Bodenversauerung, Bodeneutrophierung (Überdüngung), Bodenversiegelung, etc. Zusätzlich werden den, in der Sachbilanz registrierten Stoffe Wirkungspotentiale zugeordnet. Die Summe von Wirkungspotential x Stoffmenge liefert die Wirkung des betrachteten Industrieproduktes in der jeweiligen Umweltkategorie.
– Auswertung, in der mit mehr oder weniger subjektiven Kriterien, d.h. Bewertungsfaktoren, die aus der Wirkungsabschätzung erhaltenen einzelnen Umwelteinflüsse relativ zu einander bewertet werden. Hier können auch verschiedene Industrieprodukte hinsichtlich ihrer Umwelteinflüsse verglichen werden.
Die Volkswagen-Forschung will wissen, ob das Instrument “Sachbilanz” geeignet ist, Kenntnisse über die stoffliche Zusammensetzung der Autos zu erlangen und ob es tauglich für Entscheidungen bei der Werkstoffauswahl ist. Wissend, daß die Ökobilanz eines Autos sehr aufwendig ist, soll zunächst nur eine Sachbilanz durchgeführt werden.
Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem Institut für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde (IKP) der Universität Stuttgart wird, mit den Methoden der ganzheitlichen Bilanzierung, ein Pkw der Mittelklasse untersucht. Die Studie wurde 1992 begonnen. Das IKP erstellt den Arbeitsplan und trägt die Daten zusammen, VW stellt seine Erfahrung im Automobilbau und eigenen Daten bereit. Die Sachbilanz wird gemeinsam erstellt und beurteilt.
Sowohl die VW-Forschung, als auch das IKP wollen eine möglichst detaillierte Studie mit größtmöglicher Datentiefe erstellen. Dabei zeigt sich sehr schnell, daß in einigen Bereichen die Datenmenge den Rahmen der Studie sprengen können, in anderen auf Ersatzdaten von älteren Modellen zurückgegriffen werden muß.
Die Gestaltung der nun folgenden Absätze richtet sich nach dem Konzept der ISO 14040 und der DIN 33926. Darin vorkommende Begriffe sind kursiv gekennzeichnet.
2 Allgemeine Angaben
Das Bilanzobjekt ist ein Pkw der Golf-Klasse. Sofern möglich werden Daten für einen Golf, Modelljahr 1994, 4 Türen, 1,8 l Ottomotor, 55 kW und 5 Gang Schaltgetriebe eingesetzt.
Die Zielgruppe ist das Management der F&E von VW. In der vorliegenden Veröffentlichung wird auf die Darstellung vieler Details, insbesondere auf umfangreiche Prozeßpläne und Stücklisten verzichtet.
Der Bilanzrahmen ist eng gesteckt, es werden nur die dem Produkt “Auto” direkt zugeordneten Prozesse berücksichtigt. Darin enthalten sind die Vorproduktketten und die Fertigung des Endproduktes, jedoch keine Herstellung von Anlagen. Bild 1 veranschaulicht dieses Konzept.
Der Detaillierungsgrad ist innerhalb der VW-Werke am höchsten, es werden Einzelteile, die mindestens 1 g wiegen berücksichtigt. Werkstoffe und Strom werden in der Form von fertigen Modulen in getrennten Projekten erstellt. Nicht limitierte Bestandteile im Motorabgas werden möglichst bis zur meßtechnischen Nachweisgrenze hinzu genommen.
Die Aufteilung (Allokation) von Ein- und Ausgangsströmen (Ressourcen und Emissionen) bei der Koppelproduktion wird fallweise unterschiedlich durchgeführt. Die Aufteilung von Primärenergie und Emissionen auf Strom und Wärme aus Kraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung wird kalorisch, d.h. nach der abgegebenen Energie durchgeführt. In der Raffinerie wird nach Masse, im Automobilwerk nach Stückzahl aufgeteilt.
3 Methode und Begriffe
Zunächst werden Übersichtspläne erstellt, deren Elemente Einzel-Prozesse und weitere Pläne sind. EDV-technische Definitionen befinden sich am Ende dieses Kapitels. Der oberste Plan, Bild 2, stellt lediglich die 3 Phasen im Lebenszyklus eines Autos dar. Zwischen den einzelnen Phasen fließen das jeweilige Hauptprodukt, z.B. Pkw (neu), und Produktgruppen, z.B. die “Betriebsstoffe” bestehend aus Benzin, Motoröl, Kühlmittel, etc. Die Herstellung bezieht sich nicht nur auf den Pkw, sondern auch auf die Betriebsstoffe, insbesondere das Benzin und Ersatzteile, die später bei der Nutzung benötigt werden.
4 Datenerhebung
Die Daten werden den Prozeßplänen entsprechend erhoben. Die anfänglichen Daten führen in der Regel zur Korrektur und Verfeinerung der Prozeßpläne und damit zur Aktualisierung bestehender und Erhebung weiterer Daten. Es handelt sich hier also nicht um ein Projekt, sondern um einen kontinuierlichen Prozeß.
In der Herstellungsphase konzentriert sich die Datenerhebung auf die Werk- und Betriebsstoffe, deren Gewinnung und Weiterverarbeitung. In der Nutzungsphase werden Daten zum Kraftstoffverbrauch und Emissionen erhoben. Darüber hinaus werden Pflege und Wartung berücksichtigt. Die Entsorgung, schließlich, besteht aus der teilweisen Zerlegung der Altautos, Shreddern der Wracks und Recycling der Metallfraktion.
Eine der wichtigsten Informationsquellen ist die Entwicklungs-Stückliste. Aus ihr werden die Werkstoffe und Gewichte, aus denen das zu untersuchende Fahrzeugmodell besteht, ermittelt. Die vielen hundert Werkstoffe werden für Übersichten in Gruppen zusammengefaßt, Tabelle 2. Die Mengen der Werkstoffe mit den zugehörigen Rohstoffen, Legierungsanteilen, Mischungskomponenten, etc., werden aus der Werkstoffbezeichnung, z.B. Stahl 54SiCr6, Aluminium AlSi12, Kupferlegierung CuZn27Mn3Al2, Kunststoff PA 6.6 30% GF, und dem Gewicht (Auflösung = 1 g) der Einzelteile berechnet. Daten über die Herstellung der Rohstoffe werden vom IKP in separaten Projekten erarbeitet und, wo nötig, durch Literaturdaten ergänzt.
Die Stückliste enthält keine Angaben über den Aufwand zur Herstellung der Einzelteile und deren Zusammenbau zum fertigen Auto. Um diesen Aufwand abzuschätzen, werden Daten von Zulieferern und aus den einzelnen VW-Werken, Tabelle 3, zusammengetragen. Dabei zeigt sich, daß moderne Anlagen mit vielen Meßzählern ausgestattet sind und genügend Daten für eine Sachbilanz liefern können, ein Beispiel ist die Lackiererei. Ältere Anlagen verfügen nur über wenige Zähler und können deshalb nur Übersichtsdaten liefern. Die Abluft von Montagehallen wird wegen der geringe Schadstoffemissionen nicht analysiert. Der Transport zwischen den Werken wird berücksichtigt.4.2 Nutzungsphase
Die Nutzungsphase beginnt mit dem Transport des Fahrzeugs zum Händler und dem Entfernen der Wachs-Konservierung. Anschließend setzt der Verbrauch von Benzin und Motoröl, aber auch der von Kühlmittel, Bremsflüssigkeit, Scheibenreinigungsmittel, sowie Reifen ein. Bei der Wartung werden Verschleißteile ausgetauscht, darunter Zündkerzen, Ölfilter, Batterie, etc.
Der Benzinverbrauch und die damit verbundenen Schadstoffemissionen eines Pkw hängen von der Fahrweise ab. Der Gesetzgeber hat Fahrzyklen zur Messung des Verbrauchs und der Abgas-Emissionen vorgeschrieben, z.B. der Europäische Abgasfahrzyklus ab Juli 1992 MVEG-A (Motor Vehicle Emission Group, case A), US-City und Highway Driving Cycle in den USA. Einige Institutionen, darunter der Allgemeine Deutsche Automobil Club (ADAC), meinen, daß diese Fahrzyklen nicht repräsentativ sind und benutzen eigenen Fahrzyklen zur Bestimmung des Verbrauchs. Ein Maß für die Spannweite von Verbrauchswerten aufgrund der Fahrprofile verdeutlichen folgende 3 Werte:
US-City 7,3 l/100 km
MVEG-A 8,1 l/100 km
ADAC 9,1 l/100 km
In der Bilanz wird der MVEG-A Testverbrauch verwendet.
4.3 Entsorgungsphase
Die heute typischen Entsorgungswege zeigt Bild 9. Die Entsorgung ins Ausland wird nicht berücksichtigt. Es werden Schrotthändler, Betreiber von Shredderanlagen, sowie Altautoverwertungszentren befragt. Der Restwert eines Altautos bestimmt den Entsorgungsweg. Es lohnt sich nicht alle Altautos komplett zu zerlegen, weil der Markt die Teile nicht abnimmt. Die meisten Altautos werden nur trockengelegt und dann geshreddert. Deshalb werden in der Bilanz Shredder-Daten eingesetzt.
Das Shredder-Material geht in einen Markt für Sekundär-Rohstoffe. Diese werden nur zum Teil den Primär-Rohstoffen für den Automobilbau zugeführt. Der größere Teil geht in Branchen mit geringeren Werkstoff-Anforderungen, z. B. Stahl für die Bauindustrie. Das ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch sinnvoll, weil bei der Wiederaufbereitung Energie verbraucht und Emissionen in Luft und Wasser erzeugt werden.
Gutschriften für Sekundär-Rohstoffe, die in andere Branchen fließen, werden nicht berücksichtigt.
Als Andreas die letzte Zeile getippt hat, ist die Sonne über Stuttgart bereits aufgegangen. Die Uhr über der Tür zeigt 6:23. „Die Zusammenfassung und das Literaturverzeichnis mache ich morgen“, sagt er sich. Um ihn herum stehen unzählige Kaffeebecher. Andreas steht auf, um die Deckenleuchte auszumachen, die ihm geholfen hat, die Nacht zum Tag zu machen. Als er die Becher einsammelt und sich auf den Weg zur Teeküche macht, begegnet ihm bereits Markus auf dem Flur. „Andreas, guten Morgen, bist ja auch schon da“, begrüßt er ihn. „Hmmm“, gibt Andreas zurück. „Bin noch da.“ Markus geht ins Büro und fährt den Rechner hoch, wie er es eigentlich jeden Tag noch allein hier tut. In diesen frühen Morgenstunden gehört das Büro meist ihm allein. Er hat sich von Beginn an entschieden, das GaBi-Workaholic-Dasein nicht abfärben zu lassen. Das würde ihm seine Frau nie verzeihen. Aber vor allem würde er es sich selbst nie verzeihen. Die Kinder sind nur einmal klein. Und verlorene Zeit mit den Menschen, für die man arbeiten geht, kann man nicht wiedergutmachen. Das war für ihn immer klar. Er versteht, dass die anderen im GaBi-Team dafür manchmal wenig Verständnis haben. Aber die meisten von ihnen haben auch noch keine Familie. Markus dreht sich kurz im Bürostuhl um und blickt auf die drei Fotos von Max, Luisa, und seiner Frau Beate, die hinter ihm auf dem Aktenregal stehen.
Mittlerweile ist Andreas zurück mit einer frischen Tasse Kaffee und hat auch Markus eine mitgebracht. „Du, Markus“, beginnt er in einem Ton, der irgendwo zwischen gezwungener Gelassenheit und Entschuldigung liegt. „Ich, hm, also ich wollte Dir noch was sagen.“ Markus blickt Andreas erwartungsvoll an, während er an der heißen Kaffeetasse pustet. „Ja, was gibt es?“ „Also, Markus…“. Andreas hält inne. „Christine hat gestern…“ „Ja, was hat Christine gestern gesagt oder gemacht?“ Andreas schaut kurz aus dem Fenster, dann dreht er sich wieder um zu Markus und fährt in seiner üblichen professionellen Tonlage fort, die eben ganz aus den Fugen geraten zu sein schien. „Ach, nichts, ich wollte Dich einfach nur nach den Daten für die Lackierung fragen. Die müssen noch in den Aufsatz, den ich gerade fertiggestellt habe. Beziehungsweise habe ich jetzt die vorläufigen Daten rein genommen, aber ich drucke es einfach gerade aus und dann kannst Du handschriftlich durchgehen und korrigieren, wenn das nicht die aktuellen sind.“ Markus nickt. Für einen Moment hätte er schwören können, dass Andreas etwas ganz anderes sagen wollte. Aber da schien er sich geirrt zu haben. „Klar, mache ich. Die Daten überprüfe ich heute Morgen eh noch mal und mache noch letzte Rechnungen mit GaBi.“, gibt Markus zur Antwort. „Willst Du jetzt nicht erst mal nach Hause gehen, wenn Du die ganze Nacht gemacht hast, Andreas?“ Andreas stiert kurz auf den Bildschirm, wo in der Textdatei noch der Aufsatz geöffnet ist. „Ja, ist vielleicht keine schlechte Idee. Ich gehe kurz heim und mache mich frisch. Mona ist bestimmt auch nicht unerfreut, wenn sie mich mal wieder bei Tageslicht sieht.“ Dann drückt Andreas auf den Drucken Button und schaltet danach den Rechner aus. Beide hören, wie der Nadeldrucker im Nebenzimmer seine Arbeit beginnt. „Tschüs, bis später“, verabschiedet sich Andreas.
Als er schon fast aus der Tür ist, dreht er sich noch mal um. „Sag mal, Markus. Wenn Du Deine Diss. rum hast. Kannst Du Dir dann auch was anderes als GaBi vorstellen? Ich meine, nicht, dass ich jemals jemanden motivieren würde, hier weg zu gehen. Aber ich meine einfach so aus Interesse und Perspektiven.“ Markus lässt den Bleistift sinken, mit dem er bis eben die Zeilen und Spalten einer Berechnung durchgegangen ist. Solch eine Frage hat er von Andreas noch nie gehört. Aber die Antwort fällt ihm nicht schwer. „Klar, habe ich, Andreas. Ich denke schon, ich weiß, wohin mein Weg führt. Ich kann mir nichts anderes als GaBi vorstellen, aber mein Weg wird nicht in die PE führen. Ich lebe nicht, um zu arbeiten. Ich arbeite, um eine gute Balance aus dem zu haben, was mir Freude macht und dem, was mich als Vater und Ehemann bin. Ich habe mir schon oft überlegt, wie das wäre, wenn ich meinen eigenen Laden aufmachen würde und selbstständig bin. Ich glaube, das passt zu mir und sobald meine Diss. soweit ist und mein Vertrag hier ausläuft, gehe ich das an. Das ist nicht ‚gegen‘ das Team hier, Andreas, das weißt Du. Es ist einfach, weil ich andere Prioritäten im Leben setze und privat eben auch schon ein bisschen gebundener bin als die meisten von Euch.“ Andreas hat während der ganzen Worte trotz der Müdigkeit, die seinen Körper bis in jede Faser durchzieht, aufmerksam zugehört. Er nickt wohlwollend und sagt nur. „Ich weiß, Markus, danke für Deine Ehrlichkeit. Ich kann mir Dich gut als Selbstständiger mit GaBi vorstellen.“ Dann dreht er sich um und sagt noch. „Wenn mich jemand sucht, ich bin spätestens um 11:00 Uhr wieder da zu dem Termin mit BASF.“ Als er später im Auto sitzt, das er schon vor einigen Jahren gegen die studentische Vespa eingetauscht hat, klingen die Worte von Markus noch nach. Ein bisschen beneidet er ihn. Er wüsste auch gern, wohin das hier für ihn alles fühlt. Und trotz der Begeisterung schleicht sich immer mehr das Gefühl ein, dass auch sein Weg vielleicht nicht immer hier an der Uni weitergehen wird.