„Setzt Euch“, fordert Markus seine Gäste am Institut auf. Ihn freut es, Thomas nach so langer Zeit im Lockdown wieder einmal persönlich zu sehen. Bei Treffen wie diesen wird ihm klar, wie lange er nun auch schon fester Bestandteil von GaBi ist, ja, quasi mit GaBi als Perspektive auf die Welt durchs Leben geht. Als er die Abteilung von seinem Kollegen und damaligen Betreuer der Diplomarbeit Frank übernahm, hätte er sich das nie träumen lassen, dass er einmal eine Abteilung von 30 Mitarbeitern leiten würde. Schnell überprüft er noch die Impfnachweise seiner Gäste. „Was man heute nicht alles auch noch als Verantwortlicher einer Uni-Abteilung übernehmen muss“, fährt es ihm durch den Kopf. An ihm vorbei huscht Lars, der noch Kaffee und Getränke für das Gespräch auf den U-förmig gestellten Konferenzstisch stellt. Lars wirft aus dem Augenwinkel einen Blick auf Thomas und die Journalistin, die sich als Luise (kurz Lotta) vorgestellt hat. Lars ist etwas unsicher, was ihn erwartet. Schließlich ist er erst kurz dabei, die meiste Zeit im Home Office. Aber neugierig ist er auch auf die Fragen. Und ungewöhnlich ist es keinesfalls, dass man in so einem Gespräch ins kalte Wasser geworfen wird. „Das ist normal bei GaBi,“ hatte ihm Anke direkt in den ersten Tagen erzählt. „Einmal GaBi, immer GaBi,“ hatte sie noch hinzugefügt.
Was Lars auch nicht klar war, ist, dass Markus gar nicht dabei sein würde bei dem Gespräch mit der Journalistin. Dafür aber Thomas. Lars hat gehörig Respekt vor dem Mann, der hier mit wachen und strahlenden Augen mit Jeans und legerem Pulli vor ihm sitzt. Er hat das hier alles irgendwie losgetreten. Soviel weiß Lars. Aber wie genau und mit welchen Methoden, das ist auch ihm nicht so klar. Wie einer, der darüber täglich alte Geschichten erzählt, sieht Thomas allerdings auch nicht aus. Vielmehr schaut er ihn, Kevin und Karla neugierig und scheinbar voller Fragen an. Kevin und Karla haben sich mittlerweile auch um den U-Konferenztisch versammelt. Auch sie sind verhältnismäßig neu bei GaBi, allerdings ist er der „Jüngste“ wenn es um die akademischen Abschlüsse geht. Gerade erst hat er seinen Abschluss als Ingenieur gemacht mit einer Arbeit zu Plastikmüll in Afrika. Die Abschlussarbeit wurde ebenfalls schon in der GaBi-Abteilung angefertigt. „Ein Klassiker“, hört er Anke in seinem inneren Ohr sagen, während er kurz seinen Weg zur GaBi beschreibt. Dabei merkt er selbst, wie er strahlt. Als die Journalistin noch einmal nachhakt, was genau er denn mit „privatem Interesse an Nachhaltigkeit“ meine, weiß er gar nicht, wie genau er das beschreiben soll. Er weiß nur, dass es das trifft, dass GaBi mehr als nur ein Job ist. „Nachhaltigkeit ist eben so voll mit unterschiedlichen Meinungen und Positionen, aber auch mit Halbwissen. Seitdem ich mich mit dem Thema befasse, im Studium und jetzt bei GaBi, lerne ich selbst jeden Tag etwas dazu. Ich lerne, dass es nicht um Schwarz-Weiß-Meinungen geht. Man kann nicht sagen, ein bestimmter Kunststoff z.B. ist per se einfach nur schlecht, zumindest kann man das selten sagen. Vielmehr muss man es differenziert sehen. Es geht immer darum, wie genau man das Material einsetzt und für welchen Zweck. Das genau war auch das wichtigste Ergebnis meiner Diplomarbeit. Und über solche Dinge spreche ich natürlich nicht nur bei der Arbeit. Ich rede darüber auch mit Freunden und dann merke ich immer, wie sehr ich für das ganze Thema brenne. Das meine ich mit „privatem Interesse.“
Thomas an der gegenüberliegenden Ecke des Konferenztisches nickt wohlwollend und sichtlich gerührt. Während GaBi ihn vor 30 Jahren noch täglich begleitete, hat er längst viele Jahre mit anderen großen Projekten zu tun, darunter die Entwicklung einer praxisorientierten Lernmethode und der Aufbau einer Jugendwerkstatt. So viel GaBi-Begeisterung ist ansteckend. Nein, vielmehr freut er sich, dass so viel vom ursprünglichen Spirit hier und heute im Jahr 2022 noch da ist. „Genau“, stimmt er Lars mit einer ungeheuren Ausdrucksstärke in der Stimme zu. „Das genau geht auf den Ursprung unserer GaBi-Philosophie damals zurück. Wir wollten die Dinge in der Tiefe verstehen. So ist unser Vorsprung bei der Datensammlung entstanden. Wir wollten alles wissen, was es zu Kunststoffen, Metallen und allen weiteren Stoffen zu wissen gab, die heut noch immer das Herz der GaBi-Datenbank ausmachen. Wir wollten aufräumen mit Schwarz-Weiß-Denken, um anwendbare Lösungen zu entwickeln, damit Nachhaltigkeit von Beginn an ins Bewusstsein der Hersteller kommt,“ erklärt er. „Was mich aber wundert, das muss ich bemerken, weil es mir auffällt bei Euren Erzählungen. Bei uns war Kernalleinstellungsmerkmal der GaBi immer, dass sie Ökologie, Ökonomie und Technik als dritten und wichtigsten Baustein betrachtet. Spielt das heute keine große Rolle mehr bei Euch?“ Thomas beendet die Frage und fügt gleich, fast entschuldigend hinzu, dass er damit nicht kritisieren wolle. Es sei ihm eben nur aufgefallen. Fast meint man, Thomas, der Mann der dieses Institut hier und noch zwei weitere während seiner aktiven Zeit als Professor geleitet hat, wolle auf keinen Fall den Eindruck erwecken, er wisse irgendetwas besser.
Auf die Frage hin nickt Kevin heftig mit dem Kopf. Auch er hat sich vorweg kurz vorgestellt. Er ist seit 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Schwerpunkt Werkstoffe und Produktsysteme in der Luftfahrt. „Das stimmt. Ich glaube, wir betonen aktuell stark die Komponente des Sozialen, weil sie an Wichtigkeit gewinnt, aber noch immer Herausforderungen bei der Messung birgt,“ erklärt er ruhig, während er mit den Fingern über ein kleines schwarzes Notizbuch streicht, das alle der Youngsters in der ein oder anderen Farbe hier mit sich tragen. Es scheint, als wollten sie sicher gehen, dass ja keine gute Idee, kein Gedanken, der in den lebhaften Diskussionen entsteht, vernachlässigt werden könnte. „Ich denke trotzdem, dass für uns Technik im Kopf immer eine, wenn nicht die wichtigste Komponente ist. Dafür bringen wir ja auch alle unsere technischen Hintergründe mit, wenn diese auch sehr interdisziplinär und vermeintlich unterschiedlich sind.“ „Was meinst Du damit genau“, möchte Luise, die Journalistin wissen, und dreht ihren Stuhl noch ein Stückchen mehr in Kevin’s Richtung. Offensichtlich ist auch sie ganz begeistert von den Erzählungen der jüngsten GaBi-Generation. „Nun, die Tatsache, dass wir teils unterschiedliche Studienhintergründe haben, und später andere Schwerpunkte durch unsere Abschlussarbeiten und sonstige Interessen, lässt uns vieles in einer Breite und Perspektivenvielfalt diskutieren, die sonst gar nicht möglich wäre“, beschreibt Kevin weiter. „Bei mir ist es natürlich sicherlich auch noch mal etwas sehr besonders mit meinem bisherigen Lebenslauf“, schiebt Kevin hinterher.
Thomas beugt sich ein Stück nach vorn und wippt mit den Füßen. Dieser Satz hat offensichtlich sein Interesse geweckt. Fast scheint es, es gäbe nichts und niemanden auf der Welt, der nicht das Interesse eines Mannes wecken könnte, der im Laufe seines Lebens über 800 wissenschaftliche Publikationen angesammelt hat. Aber es kann eben immer sein, dass das nächste Gespräch, die nächste Begegnung, wieder Anstoß für ein neues Projekt, eine neue Erfindung ist. So zumindest geht es Luise durch den Kopf, als sie mit dem Stift über das Papier sprintet, um all die Notizen frisch fest zu halten. Auch sie kann nicht widerstehen, auf die Andeutung von Kevin zu reagieren. „Wie meinst Du das?“ richtet sie ihre Frage direkt an ihn. Kevin setzt sofort zur Antwort an, ohne dabei zu sehr die Aufmerksamkeit auf sich lenken zu wollen, wie es scheint. „Mein Traum war es von Kindheit an, einmal zu fliegen. Ich habe noch als Teenager meine Privatfluglizenz erworben. Der Traum wurde dann immer größer. Ich bewarb mich nach der Schule für die Verkehrspilotenausbildung, aber es klappte nicht, ich kam nicht rein. Also ging ich zur Uni und studierte etwas Wirtschaftsinformatisches. Das interessierte mich. Es war etwas Interdisziplinäres, bestehend aus Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften. Trotzdem ließ mich meine Leidenschaft, die Fliegerei, nicht los. Also probierte ich es erneut mit der Bewerbung bei einer Airline, diesmal im europäischen Ausland. Es klappte. Ich begann die Ausbildung, aber dann kam es wieder anders und ich musste die Ausbildung abbrechen. So sah ich mich nach neuen Wegen um. Nachhaltigkeit und der Schutz der Natur spielten für mich aufgrund der Segelfliegerei und meiner anderen naturnahen Hobbies immer eine große Rolle. Meteorologie, die Naturgesetze, aber auch die Schönheit der Natur sind Dinge, die einen da oben im Cockpit ständig begleiten und faszinieren. In Stuttgart fand ich dann den für mich richtigen Studiengang und machte 2020 meinen Masterabschluss Luftfahrttechnik. „Und GaBi?“, will Luise nun wissen. „Nun, da gab es noch einen „Umweg“, wenn man so will. Nach dem Studium bin ich erst in die Unternehmensberatung gegangen. Das war aber nichts auf Dauer für mich. Ich habe dann ganz aktiv nach beruflichen Möglichkeiten im Bereich Nachhaltigkeit und so habe ich dann die GaBi gefunden und mich beworben.“
Thomas lauscht aufmerksam jedem einzelnen Wort. Er erinnert sich gut daran, wie oft er neue Leute eingestellt hat. Meist war er sich, gemeinsam mit den ersten Kollegen im damals noch kleinen Team aus dem Bauch heraus einig, wer zur GaBi-Abteilung passen würde und wer vor allen Dingen durch seine Perspektive einen neuen Blick hinein bringen würde. Natürlich hat er sich manchmal geirrt, wie die Geschichte der GaBi zeigt. Aber bei den drei Youngsters, die jetzt vor ihm sitzen, ist er sich sicher, dass er sie auch eingestellt hätte. „Spielen denn Deine vorherigen Studien- und Berufserfahrungen trotzdem heute noch eine Rolle bei der Arbeit hier und wenn ja, welche?“ möchte Luise nun wissen. „Ja, eindeutig“, gibt Kevin direkt zurück. „Auf magische Weise fügt sich alles zusammen. Ich arbeite jetzt vorwiegend an Luftfahrtprojekten. Das war auch mein Wunsch damals bei der Einstellung. Ich habe direkt gesagt, dass ich diesen Bereich gern bearbeiten würde, um meine Expertise einzubringen. Der Unterschied ist nur, dass man Wünsche ja bei anderen Unternehmen auch oft äußern darf und soll. Dort ist es aber meiner Erfahrung nach dann so, dass sich danach keiner mehr dafür interessiert. Hier war das anders. Markus kam direkt ein paar Monate später auf mich zu und fragte: ‚Hey, wir haben da jetzt ein neues Luftfahrtprojekt mit der EU. Möchtest Du da federführend dabei sein?‘ Das war natürlich toll. Ich habe das noch nie so erlebt. Natürlich müssen wir hier alle auch aktiv etwas dafür tun, neue Projekte zu generieren und Anträge zu schreiben. Aber es war auf jeden Fall ein Signal, dass man hier ernst genommen wird und seine Stärken genau nach seinen Interessen einbringen kann.“
Projekt Luftverkehr
Als Kevin den Satz sagt, schaut Luise direkt zu Thomas herüber und beide fangen an zu lachen. Während ihrer Recherche zur GaBi-Story ist ihr dieser Satz schon häufig begegnet. Fast in jedem Gespräch sagte ihr der Interviewpartner, dass dieses Motto alles geprägt hätte. Offensichtlich ist es auch wegweisend für die aktuelle GaBi-Generation. Inmitten des Lachens betritt Anke den Raum und setzt sich neben der Tür auf einen Stuhl, um nicht aufzufallen. „Anke, der Satz „Wünsche werden selbst erfüllt“, den kennst Du auch noch, oder?“ Sofort fangen ihre Augen an zu leuchten. „Klar kennen ich den,“ gibt sie zurück und fängt auch an zu lachen. Der begleitet mich von Beginn an. Er ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum man kaum von der GaBi wegkommt. Ich habe es ja selbst oft probiert. Nach dem Studium in Canada kam ich zurück zur Gabi, wollte aber auch mal ein Praktikum woanders machen. Da ging diese Firma dummerweise pleite, so dass ich zurück kam. Dann habe ich noch ein bis zwei weitere Anläufe gemacht, um mal was anderes zu sehen, vor allem in der Industrie. Aber irgendwie führte mich dann doch der Weg immer schnell wieder zurück hierher. Man kommt einfach nicht weg. „Einmal GaBi, immer GaBi. Und die Tatsache, dass man sich seine eigenen Projekte suchen kann und dafür Geld einwirbt, ist ein maßgeblicher Treiber. Wo kann man das heute noch — seinen Interessen wirklich leidenschaftlich nachgehen und gleichzeitig zu wissen, dass man einen Beitrag dazu leistet, das größte Problem der Menschheitsgeschichte zu lösen?“
Bei dem Stichwort wird Thomas ganz rot. Er war sich darüber nie klar, dass dieses Motto des Wünsche-Erfüllens ganze GaBi-Generationen geprägt hat. Und doch kann er nicht anders, als sich gleich wieder dem Thema zuzuwenden. „Wenn wir beim Thema Menschheitsproblem sind,“ setzt er an und schaut allen in der Runde direkt in die Augen, „dann müssen wir über die Verschmutzung der Meere reden. Dafür hat keiner bislang eine tragfähige Lösung gefunden. Es ist schrecklich. Wir müssen das angehen. Das geht nur, wenn wir es hinkriegen, dass das ganze Plastik gar nicht mehr ins Meer kommt. An der Stelle nickt Karla heftig an der gegenüberliegenden Tischseite. Sie hat eine bunte grüne Kette an ihrer Maske hängen. Was die Pandemie nicht alles an Modetrends gefördert hat, die zuvor niemand für möglich gehalten hätte. Aber Karla weißt darauf hin, dass sie aus ihrer Heimat Mexiko das Müllproblem natürlich auch und allem voran als soziales Problem sieht. „Es ist einfach so, dass in vielen Ländern Leute Müll sammeln müssen, um sich ihr Leben zu finanzieren. Das kann man nicht ausblenden.“ Wie Karla als Hintergrund beschreibt, ist sie seit zwei Jahren Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei GaBi, nachdem sie zuvor als wissenschaftliche Hilfskraft ihre Masterarbeit zum Verpackungsmüll im Meer geschrieben hat. Sie kam zum Studium nach Stuttgart, um Umwelt zu studieren mit dem Fokus auf End of Lifecycle. „Bei uns in Mexiko gibt es diese Möglichkeiten einfach nicht“, sagt sie. „Hier kann ich in der Tiefe an Themen arbeiten, was zu Hause nie möglich gewesen wäre. Das ist ein Geschenk. Und ich hoffe, dass ich in der Zukunft dieses Wissen weitergeben kann. Vielleicht werde ich Professorin oder Lehrerin. Es ist mir wichtig, diesen Bewusstseinswandel bei den Menschen auszulösen durch Bildung und Kommunikation.“
In dem Moment stürmt Markus in die Tür. Er hat Hunger und muss unbedingt schnell in die Kantine, da danach ein Anschlusstermin warte. Luise und Thomas schauen zur Uhr. „Ach, Du liebe Güte“, entfährt es Luise. Eigentlich hatten sie für den Besuch am IBP zwei Stunden angesetzt. Nun sind bald vier vergangen und es warten noch weitere Termine, die nun offensichtlich unbewusst bereits verschoben wurden. Thomas hat auch offensichtlich die Zeit vergessen. Trotzdem ist es ihm wichtig, den Termin nicht übereilt zu beenden. „Ich bedanke mich ganz herzlich für das, was Ihr erzählt habt. Es begeistert mich, zu sehen, mit welcher Freude und mit welcher Fächerbreite Ihr Euch den Themen widmet. Das hat die GaBi immer ausgemacht — die Interdisziplinarität und der innere Antrieb, etwas bewegen zu wollen. Das sehe ich in Euch. Und zum Thema Kommunikation kann ich Euch gleich noch etwas ans Herz legen. Es gibt mittlerweile nicht nur die GaBi. Es gibt auch GaBe. Das ist die Ganzheitliche Betrachtung. Das ist das, was Ihr alle gerade in unterschiedlichen Worten beschrieben habt — die Welt und jedes Problem darin, aus mehreren Perspektiven zu sehen und anwendbare Lösungen zu entwickeln. Nehmt Euch jeder ein Heft mit. Besprechen können wir es heute nicht mehr. Aber gebt es weiter. Ich danke Euch.“
Vertiefung: GaBi als Rückgrat der Circular Economy (Martin Baitz)
Sunfuel Bericht: Die damalige Umweltministerin Renate Künsat präsentiert 2004 den Sunfuel-Bericht, der leitend von Dr. Martin Baitz erstellt wurde.
1) GaBi ist das zentrale Rückgrat des „Product Environmental Footprint“ und der „Circular Economy“ Initiativen, der ab 2024 kommenden umweltpolitischen Regularien der Europäische Kommission.
2) GaBi Daten werden ständig aktualisiert und erweitert damit Automobil-Hersteller wie z.B. Mercedes-Benz, Daimler Truck, VW, Audi und Porsche ihre künftigen Automobil Generationen umweltfreundlicher auf Basis realistischer und neuster Daten entwickeln können.
3) Die Methode der Ökobilanz und GaBi wird an Hochschulen, die neben den ökologischen Aspekten auch Wert auf technische Machbarkeit und ökonomische Sinnhaftigkeit legen, als zukunftsweisendes Wissen gelehrt, wie z.B. der Universität Stuttgart, der Hochschule Esslingen, der Technischen Universität Berlin, der Hochschulen Bochum und Bingen.
4) Nachhaltigkeit wird von drei Hauptgruppen mit unterschiedlichen Interessen und gleichem Ziel — intergenerativ gerechte, wirtschaftlich erfolgreiche und ökologisch tragfähige Bedürfniserfüllung der menschlichen Gesellschaft — verfolgt. Die Wissenschaft hat in dieser Dreifaltigkeit in erster Linie kognitives Interesse die Definition, Bestimmung oder Berechnung der Nachhaltigkeit zu definieren. Die Politik hat in erster Linie regulatives oder stimulierendes Interesse, um Voraussetzungen oder Anreize zu nachhaltigem Wirtschaften zu schaffen. Die Industrie hat in erster Linie Interesse ihre Produkte nachhaltiger herzustellen, um Kosten zu sparen und neue Märkte zu erschließen. Nur wer die Sichtweisen dieser drei Hauptgruppen nicht nur akzeptiert und respektiert, sondern versteht und synergetisch nutzt, kann mit der GaBi und deren normativ-wissenschaftlich fundiertem Grundgerüst als Bindeglied zwischen unternehmerischen Interessen, regulativen Erfordernissen und wissenschaftlichen Grundsätzen evolutionäre und revolutionäre Erfolge umsetzen.
5) Kreislaufwirtschaft und das Rezyklieren von Materialien sind ein wichtiger Teil einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Doch ist es wichtig, festzustellen, welches Material auf welche Weise, mit welchem Aufwand und an welchem Ort rezykliert wird, um zu verhindern, dass die Kreislaufschließung mehr Schaden anrichtet als die Neu-Produktion. Mit Hilfe von GaBi konnten bereits viele Kunststoffverarbeitenden Betriebe erkennen, dass der Einsatz von Rezyklat in der Produktion, so lange keine Einsparung an Umweltlasten erbringt, solange sich die Firmen keine Gedanken gemacht haben, was mit dem ihrerseits produzierten (teilweise oder völlig auf Rezyklat basierendem) Kunststoff nach dessen Nutzung geschieht. Closed-Loop Recycling ist das Stichwort, was den eigenen Kunststoff nach Nutzung zurück in die Produktion bringt, doch Closed-Loop Material Recycling ist oft durch Verschmutzungen des Kunststoffs nach Nutzung nur bedingt möglich. Somit gilt es in der Kreislaufwirtschaft und im Rezyklieren immer darum mit Hilfe der GaBi den besten möglichen Mix aus mechanischem, chemischem und thermischem Recycling zu finden, um die Deponie weitestgehend zu vermeiden, die Stoff- und Energiekreisläufe bei geringsten Umweltwirkungen zu weitestgehend zu schließen.
6) Die Nutzungsphase — also die Auswirkungen sachgerechter oder falscher Benutzung durch die Konsumenten — hat immensen Einfluss auf die Gesamt-Ökobilanz. Ein Auto beispielsweise verursacht bis zu 80% der Umweltlasten im Fahrbetrieb, also durch die Fahrerin oder den Fahrer. Somit lässt sich mit der Ganzheitlichen Bilanzierung einfach nachrechnen, dass die Nutzung einer Luxuslimousine — mit einem hohen Verbrauch von 15l Benzin pro 100 km und einer moderaten Fahrweise und Fahrleistung pro Jahr — einen ökologischeren persönlichen Fußabdruck hinterlässt, als die Nutzung eines sogenannten 3-Liter-Autos, was für jede Kurzstrecke angespannt wird. Gleiches gilt für ein Handy. Ein weiteres Beispiel sind die Versuche von Supermärkten Plastiktüten zu verhindern und die Gewissen der Kunden zu beruhigen, indem man nur noch Papiertüten oder Stofftüten anbietet. Hier kann man mit Hilfe der GaBi schnell errechnen, dass diese Maßnahme die Verantwortung an eine sachgerechte Nutzung überträgt, wenn man den ökologischen Einfluss reduzieren will. Papiertüten (und dabei ist es egal, ob es Recyclingpapier oder Primärfasern sind) benötigen über doppelt so viel Energie in der Herstellung (durch den sogenannten Pulping-Prozess, einer energieintensiven Faserherstellung) wie Kunststofftüten. Somit muss die Papiertüte schon mehrfach verwendet werden, um wieder in ökologischen Kategorien mit der Plastiktüte gleichzuziehen, denn auch diese wird oft mehrfach verwendet und die Plastiktüte geht nicht so schnell kaputt und weicht nicht auf. Auch dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine Nutzerverantwortung und eine sachgerechte Benutzung ist. Das gilt um so mehr für Stofftüten, die allein im „Textil-Finishing (ohne die eigentliche Stoff-Herstellung)“ teilweise immense Energiemengen von mehreren 100 MJ/kg Textil benötigen (zum Vergleich eine Plastiktüte benötigt nur ca. 60MJ/kg aber inklusive aller Herstellungs-Prozesse). Wir haben leider oder zum Glück als Konsumenten und Nutzer vieles selber in der Hand.
7) IT IS YOUR CHOICE. Über die Wahl der Lebensmittel hat jeder Einzelne einen immensen Einfluss auf die Reduktion der Umweltwirkungen der Agrarproduktion. Landnutzung und Treibhauseffekt sind neben der Überdüngung des Bodens sie bedeutendsten Umweltwirkungen der Agrarproduktion. Um die gleiche Menge Nährstoffe bereitzustellen bedarf es für die Herstellung von 1 kg Rindfleisch je nach Berechnungsweise min. 15-mal mehr Landverbrauch und Treibhauseffekt als für 1 kg Schweinefleisch und min. 25-mal mehr Landverbrauch und Treibhauseffekt als für 1 kg Geflügelfleisch; von vegetarischer Ernährung mal ganz abgesehen.
8) JEDER KANN UND MUSS BEITRAGEN. Nur durch Verminderung von unnötiger Verschwendung und unsachgemäßer Handhabung können in Industrieländern über 30% (!) an Belastungen für Nahrungsmittel die ungenutzt entsorgt werden müssen vermieden werden.
9) WÄHLE WEISE. Wir werden immer viele Formen von Mobilität brauchen. Die Frage ist nur: Wann brauchen wir welche? Überraschend: Allein im SUV (Sports Utility Vehicle) zu fahren, kommt sehr nah an Fliegen heran. Auch ein kleiner Motorroller kann alles andere als effizient sein.
Quelle: Keynote thinkstep, Ecobalance Conference 2019, Poznan, Polen
10) Ein Ehering aus Gold benötigt 3-mal so viel Energie und erzeugt über 30 mal so viel Treibhausgase wie ein Handy. Selbst Standard Klamotten wie Jeans schlagen überraschend zu buchen. Kaufentscheidungen und Tragedauern sind somit entscheidende Aspekte; wie Lebensplanung an sich (-: